Johanne Titz, geborene Weinberg und Ehemann Hermann Titz
Die Familie Weinberg in Varel:
Johanne Titz,
geborene Weinberg
(1901 Detern – 1990 Varel)
Ehemann Hermann Titz
(1896 Schlesien – 1967 Varel)
Forschungsstand: 4. Juni 2024
Johanne Weinberg wurde am 26. Dezember 1901 in der ostfriesischen Ortschaft und gleichnamigen Gemeinde Detern geboren. Sie war das jüngste von fünf Kindern des in Leer geborenen jüdischen Schlachters Wolf Weinberg und dessen in Carolinensiel geborener jüdischer Ehefrau Rosalie (Rosa), geschiedene Herz, geborene Levy.
Ihre Eltern hatten am 24. Mai 1894 in Carolinensiel nach jüdischem Ritus geheiratet. Die zuletzt siebenköpfige Familie lebte nach der Heirat im Elternhaus des Bräutigams zusammen mit der verwitweten Großmutter Julie (Julia). Der Großvater Aron Weinberg war bereits 1893 verstorben.
Die Großeltern Levy wohnten in Carolinensiel. Zur Familie Weinberg zählten noch die vier Geschwister von Johanne, ebenfalls in Detern geboren: Adolf Weinberg, geboren am 15. April 1895, Jette Weinberg, geboren am 3. Juli 1896, Julie Weinberg, geboren am 1. November 1897 sowie Ernst Weinberg, geboren am 29. Januar 1899.
Zum 1. Mai 1905, im Alter von vier Jahren, zog Johanne Weinberg mit ihren Eltern und den vier Geschwistern von Detern nach Varel. Die Familie lebte zunächst zur Miete. Mit einem Kaufvertrag vom 1. Februar 1911 erwarb Wolf Weinberg das Grundstück Schüttingstraße 13, der Kaufpreis für das 1903 nach einem Brand erneuerte Gebäude samt Garten betrug 14.000 Mark. Vorbesitzer des Hauses war der Böttchermeister Wilhelm Gustav Gerjes. Wolf Weinberg und Familie zogen um und der Vater verlegte sein Gewerbe, einen Rohprodukten- und Fellhandel, an diesen Standort.
Johanne Weinberg heiratete am 28. März 1929 in Varel den am 1. März 1896 in Rabishau (Kreis Löwenberg, Schlesien) geborenen nichtjüdischen Automobilkaufmann Hermann Titz. Ihren Mann, damals Betriebsleiter einer Kfz-Firma in Dessau, hatte offenbar seine berufliche Tätigkeit nach Varel geführt, denn die Firma in Dessau vertrieb auch „Hansa-Lloyd“- Autos, die teils im Hansa- Automobilwerk Varel produziert worden waren. Die Ehe blieb kinderlos.
Als Ehemann einer Jüdin erlitt ihr Ehemann Hermann Titz nach der Machtübertragung an die Nazis fortgesetzte Diskriminierungen und Verfolgungen sowie schließlich die Zerstörung seiner beruflichen und sozialen Existenz, die er nur durch eine Scheidung hätte abwenden können.
Johanne Titz entging den im Herbst 1941 beginnenden Deportationen in die Gettos und Vernichtungslager der Nazis nur, weil sie Partner in einer sogenannten „Mischehe“ war. Sie wurde aber von der Gestapo in Schlesien im April 1944 verhaftet und in das bei Breslau gelegene jüdische Zwangsarbeitslager Klettendorf, Außenstelle Faulbrück,10 verschleppt. Dort blieb sie bis zum 16. Oktober 1944.
Über die Zeit nach ihrer Entlassung gab Johanne Titz 1958 zu Protokoll:
Mein damaliger Wohnort „Reichenbach durfte von mir nicht mehr verlassen werden. Sonntags durfte ich, wenn dieser Tag im Betrieb arbeitsfrei war, die Wohnung nicht verlassen. Ich war zur Tragung des Judensterns verpflichtet. Jeden Werktag hatte ich mich zunächst bei der Polizei zu melden, später wurde ich mehrmals in der Woche von der Polizei daraufhin kontrolliert, ob ich an der Arbeitsstelle anwesend war. Außer dem Weg von Wohnung zur Arbeitsstelle und zurück durfte ich mich nicht im Freien aufhalten. Das Betreten von Geschäften und Verkaufsstellen war mir verboten. Meine Lebensmittelkarten enthielten weder Fleisch noch Butter, auch die Abschnitte für etwaige Sonderzuteilungen wurden vorher abgeschnitten oder ungültig gemacht. (…).“
Von ihren Familienmitgliedern lebte bei der Rückkehr von Frau Titz nach Varel niemand mehr. Die drei Geschwister Adolf, Ernst und Jette, die Schwägerin Resie und der Neffe Wolf Dirk „Dieter“) waren von den Nazis 1943 in Auschwitz-Birkenau ermordet worden:
Die ledige Schwester Julie Weinberg hatte bei Beginn der NS-Herrschaft bereits im Sommer 1933 Varel verlassen und war über Genua nach Palästina ausgewandert. Sie erkrankte während der Überfahrt schwer und war am 15. Oktober 1933, kurze Zeit nach der Ankunft Mitte August, im Kibbuz Beith Alfa im Norden Palästinas verstorben.
Die ledigen Geschwister Ernst und Jette Weinberg hatten in der Schüttingstraße ab 1937 ein Jüdisches Altenheim eingerichtet, dessen letzte Bewohner*innen im Juli 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Ernst und Jette waren bereits am 22. Oktober 1941 über Emden und Berlin ins Getto Lodz deportiert worden und dort umgekommen.
04.06.2024 © Holger Frerichs