Grabkultur auf dem Vareler Friedhof: Die klassizistischen Grabsteine

Als Mitte des 19. Jahrhunderts, unter anderem aus Platzmangel, Beerdigungen auf dem Friedhof südlich der Schloßstraße nicht mehr möglich waren, entschloss man sich, einen neuen, größeren Friedhof ‚vor den Toren der Stadt‘, nämlich an der Oldenburger Straße, zu errichten. Man entschied, eine größere Anzahl von bedeutsamen Grabmälern mit an die Oldenburger Straße zu nehmen und entlang einer der Hauptachsen aufzustellen. Wenn wir an dieser ‚Allee der alten Steine‘ entlang gehen, wird dem aufmerksamen Betrachter bewusst, dass Friedhöfe, und die darauf befindlichen Grabmale, Zeugnisse des jeweiligen Zeitgeistes sind. Insofern sollte man “Grabstätten als Spiegel der Gesellschaft, in der sie entstanden sind, sehen.“1)
In dem Sinne wird dieser vor uns liegende Teil unseres Wegs von den Grabmälern des Klassizissmus dominiert, der etwa auf die Mitte des 18. Jahrhunderts bis Mitte des 19. Jahrhunderts datiert wird. Nach den stark religiös geprägten Zeiten, begann mit dem 18. Jahrhundert die Epoche „der Aufklärung, wie man es heute nennt. ….zwischen 1650 und 1800 entwickelte sich in der Gesellschaft ein Denken, das die Vernunft als die universelle Urteilsinstanz betrachtete.“ In diesem Zusammenhang konnte eine Verlagerung von der Religion hin zu den Naturwissenschaften beobachtet werden. Aufklärerische Impulse beeinflussten die Literatur, Wissenschaft, Politik, sowie die schönen Künste und, in ihrem Gefolge damit, auch die Grabkultur.2)
Vergänglichkeitszeichen, Anm. d. Verf.
Somit spiegeln viele Grabmäler dieser Periode auch einen gewandelten Blick auf den Tod wieder, der den Klassizismus vom Barock scheidet. „Es wird keine Auferstehungsgewissheit in barocker Tradition versinnbildlicht, der Tod ist hier das Hinübergleiten in eine andere Welt, die als Schlaf und Schlummer gedacht wird. Barocke Bildformen wie Skelette, Totenköpfe und andere Vanitas-Zeichen (Vergänglichkeitszeichen, Anm. d. Verf.), die den grausigen Verfall des Körpers zeigen, werden im Klassizismus (1770 – 1830) als pathetisch-theatralisch und zu drastisch in der Darstellung des Todes abgelehnt.

In dieser Ablehnung äußert sich ein entschiedener frömmigkeitsgeschichtlicher Wandel. Die Aufklärung - unterzog das Christentum einer radikalen Kritik, in der der traditionelle christliche Heils- und Auferstehungsglaube an allgemein anerkannter Deutungskraft verlor.“
Vorbild für den Klassizismus „wurde die Antike, deren Rezeption durch Schliemanns Grabungen und die Freilegung Pompejis Aufschwung erhalten hatte.“ Hinzu trat die so genannte Ägypten-Mode, die sich seit der napoleonischen Zeit in Europa verbreitete und das Vorkommen von Obelisken auf Friedhöfen förderte. Andere typische klassizistische Erscheinungsformen sind die Urne, die Säule oder der Sarkophag.
Klassizismus - Der Tod als Schlaf
Obgleich im Klassizismus „ der Tod als Schlaf interpretiert wurde, bestimmten Wehmut und Trauer die klassizistischen Grabmale. Abschiedsschmerz und das Leid der Hinterbliebenen wurden appelativ vorgetragen. Die Grabmäler zielen auf einen Betrachter, der nun nicht mehr im Glauben gestärkt, sondern zum Mitleiden und zur empfindenden Anteilnahme aufgefordert wird.“
„Im Mittelpunkt der klassizistischen Aufmerksamkeit steht die Trauer der Hinterbliebenen.“
„Der vorrevolutionäre Glaube (Revolution von 1848, Anm. d. Verf.) war verloren, aber die heidnische Antike konnte den dadurch entstandenen Leerraum nicht vollständig füllen. … Dieser klassizistische Wunsch, christliche Glaubensinhalte umzudeuten und mit antiken Motiven zu versöhnen, wurde besonders im katholischen Umfeld abgelehnt.“3)
Quellenangabe:
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Dissertation: Grabmäler des 19. Jahrhunderts im Rheinland zwischen Identität, Anpassung und Individualität; Ulrike Evangelia Meyer -Woeller, Universität Bonn 1999, Vorwort
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Wer bin ich? Wer darf ich sein? Annemarie Schrage, Isensee Verlag, Seiten 47/48
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Zitate aus: Grabkultur in Deutschland – Geschichte der Grabmäler, Vogt-Werler/Werler, Reimer Verlag 2009, S. 68 - 77